Wie mit der Corona-Krise geistlich umgehen?
Als christlich fühlender, denkender, glaubender Mensch stelle ich mir genau diese Frage. Manche aus unseren Kreisen ziehen die „religiöse Karte“, lesen z.B. als Priester „Privatmessen“ zur Abwehr des Unheils; andere ziehen mit der Monstranz durch die Wohnstraßen; andere bieten das katholische Oneline-Service …!
Ich persönlich hingegen bin überzeugt, dass in der gegenwärtigen Krise vor allem ein Anruf an uns persönlich liegt, geistlich damit umzugehen, umzudenken und umzukehren, wie es dem Ruf Jesu am Beginn seines öffentlichen Auftretens in Galiläa entspricht.
Ein dreifacher Anruf ist es, den ich sehe:
- Ich bin eingeladen, zu mir selber zu kommen und bei mir selber zu bleiben.
- Ich bin gerufen, meine Abhängigkeit anzuerkennen und mein Vertrauen zu stärken
- Ich bin gefordert, verantwortungsvoll zu leben und solidarisch zu handeln.
Zu mir selber kommen und bei mir selber bleiben
Wie oft sind wir buchstäblich außer uns, nicht bloß im aufbrausenden Zorn, sondern ganz alltäglich, nämlich in dem Sinn, dass wir nicht wirklich bei uns sind, nicht wirklich in uns ruhen. Wir sind umtriebig, „Umgetriebene“ im atemlosen Betrieb unserer nervös-hektischen Geschäftigkeitskultur.
Könnten wir diese Tage nicht als Einladung an uns verstehen, für fünf oder zehn Minuten am Tag zu uns zu kommen und bei uns zu bleiben, ja es bei uns vielleicht sogar einmal ohne äußere Ablenkung auszuhalten?
Meine Abhängigkeit anerkennen und mein Vertrauen stärken
Wie oft erliegen wir der trügerischen Illusion unbegrenzter persönlicher Freiheit, ohne uns bewusst zu werden, in wie vielfältiger Weise wir in jedem Augenblick doch immer abhängig sind. Ist doch keine Minute, in der wir nicht die Luft atmen, die da ist, — Gott sei Dank (wem denn sonst?) – und kein Tag, an dem wir nicht trinken die Wasser, die uns zufließen aus unsichtbaren Quellen – und keine Woche, in der wir uns nicht sättigen an schmackhaften Früchten, die uns „Mutter Erde“ (Franz v. Assisi) bietet.
Könnten wir diese Tage nicht als Anruf verstehen, uns neu bewusst zu machen, dass unser Leben nicht nur das ist, was wir tun, was wir denken und planen, was durch uns machbar ist, sondern vor allem, was durch äußere Kräfte geschieht und sich ereignet an uns?
Ganz in diesem Sinn bete ich persönlich Tag für Tag das Gebet von R. Guardini:
Immerfort empfange ich mich aus deiner Hand. Das ist meine Wahrheit und meine Freude. Immerfort blickt mich dein Auge an – und ich lebe aus deinem Blick, du mein Schöpfer und mein Heil. Lehre mich in der Stille deiner Gegenwart das Geheimnis zu verstehen, das ich bin, und das ich bin durch dich, – und vor dir, – und für dich.
Und vielleicht können uns auch die Worte des Hl. Paulus durch diese Zeit der Krise tragen, wenn er in seinem Brief an die Christengemeinde in Rom schreibt:
„Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert? … All das überwinden wir durch den, der uns geliebt hat.“
Ich denke, mit Fug und Recht können wir in diesen Tagen anfügen: „ …und auch Corona nicht!“
Verantwortungsvoll leben und solidarisch handeln
Wie oft sind wir in Beschlag genommen von unseren eigenen Zielen und Projekten.
Ich denke, jetzt sind wir ganz einfach gefordert, unsere Augen aufzutun und unseren Blick besonders auch dorthin zu lenken, wo in unserer Nachbarschaft Personen leben, die niemanden aus den eigenen Reihen der Verwandtschaft haben, die sich um sie kümmern.
Die Worte Jesu sind klar:
„Was ihr einem meiner geringsten Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan.“
Pfarrer Herbert Traxl